Wir weisen niemanden ab, der mit unserer Schule praktizieren will.
Wir hindern niemanden daran, unsere Schule zu verlassen.
Wir haben keinen religiösen Hintergrund und kein Dogma in unserer Schule.
Es gibt nur einen Lehrer: Shibata Kanjuro XXI, Sensei. Das bedeutet, dass keine andere Person über den Schüler:innen steht (keine Ränge).
Das Wichtigste ist, dass die Kyudoschüler:innen die Kyudopraxis lieben und Freude am Praktizieren haben.
Die Geschichte von Chikurin ha
Um 1600 beginnt die Geschichte der Heki ryu Bishu Chikurin ha. Ihr Name verweist einerseits auf Heki Yazaemon Noritsugu und damit auf die Heki-Tradition, der viele Kyudo-Richtungen angehören, anderseits auf den eigentlichen Gründer der Schule, den Mönch Chikurinbo Josei.
Ursprünglich war sie in der Region von Nagoya beheimatet, worauf der Namensteil «Bishu» hinweist.
Kyudo hat sich einerseits aus einer Kampfdisziplin entwickelt, die im Krieg eingesetzt wurde, andererseits aus einem streng formalisierten zeremoniellen Bogenschiessen, das bereits im China des Konfuzius praktiziert wurde. Es gibt noch heute viele Elemente – speziell in der Form der Chikurin ha – die direkt auf die Kampfsituation zurückweisen.
Die Grundlage der Praxis sind die sieben Koordinationen, die seit der Gründung der Schule existieren. Sie beschreiben den ganzen Prozess des Schiessens. Die Übenden sind bestrebt, diesen Ablauf möglichst präzise auszuführen. Dabei geht es aber nicht darum, dass alle identisch sind. Die Praktizierenden dürfen ihr «Gesicht» haben. In Grenzen ist so ein individueller Stil zugelassen und erwünscht.
Die Chikurin ha ist nicht Mitglied der internationalen Kyudo Federation (IKYF), da sie kein Rangsystem kennt. Es gibt also keine DAN-Prüfungen. Langjährige Schüler:innen begleiten neue auf dem Weg. Die Dojo sind in Europa in der Dachorganisation OKO organisiert.
In vielen Dojo wird neben dem Kyudo auch Sitzmeditation geübt.
In Europa gibt es in Deutschland, Frankreich, Österreich, der Schweiz, Holland, Spanien und Tschechien über zwanzig Dojo. Weitere Dojo gibt es in den USA und Canada. In Japan ist die Chikurin ha nur vereinzelt anzutreffen.
Die Bogenmacher-Familie Shibata praktiziert seit 21 Generationen in dieser Kyudotradition.
Gegenwärtiges Oberhaupt der Heki ryu Bishu Chikurin ha ist Shibata Kanjuro XXI, Sensei.
Shibata Kanjuro XXI, Sensei
Shibata Kanjuro XXI, Sensei wurde am 30. April 1952 in Kyoto geboren. Mit fünfzehn Jahren begann er mit Kyudo bei Shibata Kanjuro XX, seinem späteren Lehrmeister, Adoptiv- und Schwiegervater, zu praktizieren. Er besuchte die Doshisha-Universität in Kyoto und arbeitete vier Jahre in der Maschinenbauwerkstatt seines Vaters. 1978 heiratete er Shibata Hiromi, die Tochter von Shibata Kanjuro XX, und wurde von der Familie Shibata adoptiert. Fünfzehn Jahre lang lernte er bei seinem Adoptivvater das Bogenbauen und wurde sein Assistent. 1993 wurde Shibata Kanjuro in der 21. Generation schliesslich Familienoberhaupt und kaiserlicher Bogenmacher. Seit Dezember 2011 ist er auch das Oberhaupt der Chikurin ha. Er lebt und arbeitet in Kyoto.
Link zu seinem Blog: http://ameblo.jp/shibakan
«Ich bin ein Handwerker, ein Bogenmacher und kein Zen-Meister. Deswegen kann ich zum Kyudo wenig sagen. Viele Kyudo-Schüler sprechen vom ‚Grossen Erwachen‘ oder von ‚polishing your mind by kyudo‘. Mir scheint das heutzutage unmöglich.
Wir leben in einer Welt und Gesellschaft, die so voller Gier und Selbstbehauptungswillen ist, dass man sich schon in die Einsamkeit irgend eines Klosters oder Gebirges zurückziehen müsste, um überhaupt eine kleine Chance zu haben, seinen Geist zu klären, sein Selbst von allen Leidenschaften und Anhänglichkeiten zu befreien. Was ich aber deutlich spüre: Beim Bogenschiessen werde ich aufmerksam auf mich, ich lerne mich selbst neu kennen. Ich sehe, wie tief mein Selbst in alle möglichen Dinge verstrickt ist. Wenn ich den Bogen spanne und auf das Ziel richte, sehe ich mich. Heutzutage sind die Grenzen zwischen dem Bogenschiessen als Sport und dem Bogenschiessen ‚als Weg‘ in Japan fliessend. Ich finde das nicht schlimm. Schlimm finde ich nur, wenn jemand stolz darauf ist, dass er gut bzw. besser trifft als andere. Es ist schade, wenn das Bogenschiessen zum Aufbau eines kleinkarierten Egos benützt wird. Ich finde, dass schiessen – egal ob als Sport oder Weg – Freude machen soll. Wenn etwas Freude macht, macht man es gerne und von selber immer weiter. Und wenn man das Bogenschiessen mit Spass lange weiter betreibt, dann gibt es vielleicht die Chance, einmal etwas zu lernen, zu begreifen.»
Die Geschichte der Sendai
Chikurinbo Josei beginnt um etwa 1580 die Gefolgsleute des Fürsten Matsudaira Tadaiyoshi von Schloss Kiyosu im Bogenschiessen zu unterrichten. Chikurinbo wurde später buddhistischer Priester der Shingon-Richtung. Der Chikurin-Stil gehört zur Iga Heki-Tradition, die nicht auf den berühmten Heki Danjo Masatsugo (1444 – 1502) zurückgeht, sondern auf Heki Yazaemon Noritsugu, der möglicherweise aber derselben Familie entstammte. Der Zusatz Bishu verweist auf die gleichnamige Provinz (Nähe Nagoya), in der diese Richtung sich ursprünglich ausbreitete.
Sadasugu war der zweitälteste Sohn von Chikurinbo und stand im Dienst des 9. Sohnes des Shoguns Ieyasu Tokugawa und folgte ihm nach Nagoya. Damit begann die enge Verbindung der Chikurin-ha zur Tokugawa-Familie. Er vollendete ein vierbändiges Werk (shikan no sho 四巻之書) über Kyudo, das sein Vater begonnen hatte.
Kōtarō Takeda: Shikan no Sho. Der Ursprung des Kyūdō. Wien 2018, 157 Seiten. Aus dem Japanischen ins Deutsche übersetzt von Patrick Hiehs, mit Erläuterungen. Herausgegeben von Alfred Schmidt im Auftrag von GAKO – Kyūdōjō Wien. 2. Auflage im Mai 2019, Preis € 30.- zuzüglich Versandkosten. Beim Herausgeber unter dieser Email zu bestellen: alfred.schmidt77@gmail.com
Shibata Kanjuro I lebte im 16. Jh. auf der Insel Tanegashima südlich von Kyushu und diente dem Shimazu-Clan als Bogenbauer. 1574 übersiedelte Shibata Kanjuro II nach Kyoto und begann Bogen auch im besonderen Auftrag der Tokugawa Shogune herzustellen. Das jeweilige Familienoberhaupt der Shibata erhielt vom Shogun den Titel Onyumishi 御弓師 (Bogenbaumeister). In dieser Epoche entsteht auch der das Böse vernichtende Yumi (Hama Yumi 破魔弓), ein heiliger Bogen, der für Reinigungszeremonien gebraucht wird.
Shibata Kanjuro XVIII wurde 1871 zum offiziellen Bogenbauer des Tenno, des Kaisers von Japan, ernannt. Ihm oblag die Herstellung der 350 Bögen (mit je 24 Pfeilen), die während der Thronbesteigungszeremonie der ersten zwei japanischen Kaiser des 20. Jahrhunderts verwendet wurden. Noch bedeutender für die Werkstatt ist der Bau der 59 Azusa-Yumi (梓弓), die alle zwanzig Jahre neu für das Shinto-Heiligtum in Ise angefertigt werden müssen. Aufzeichnungen im Ise-Schrein belegen, dass diese Bögen seit über 200 Jahren von der Familie Shibata gebaut werden.
1883 wurde von der Shibata Familie ein eigener Dojo – der Taiyusha Dojo – in Kyoto gegründet und blieb bis 1991 im Familienbesitz. Dann wurde der renovationsbedürftige Dojo der Kyoto Joshi Dai Universität geschenkt.
Shibata Kanjuro XIX war der Grossvater von Shibata Kanjuro XX und dessen Erzieher, Kyudo- und Bogenbaulehrer. Er galt als strenger Mann, der kompromisslos alles von seinen Schülern forderte. Nach dem 2. Weltkrieg hat Shibata Kanjuro XIX vor dem Tenno zwei Pfeile ins Zentrum eines Gefässes mit einem Durchmesser von ca. 8 cm geschossen, um die Praxis des Kyudo zu zeigen. Er schrieb ein Buch über die Heki ryu Bishu Chikurin-ha, das nur in japanischer Sprache und als Unikat existiert. Pro Monat wurden in seiner Werkstatt mit etlichen Helfer:innen bis zu 500 Yumi produziert.
Shibata Kanjuro XX, Sendai wurde am 29. Dezember 1921 in Kyoto, der früheren Kaiserstadt Japans, geboren. Er begann mit acht Jahren Kyudo zu praktizieren und erlernte das Bogenbauhandwerk von seinem Grossvater Shibata XIX. Im Alter von 20 Jahren erhielt er die höchste Lehrgradbescheinigung. 1959, nach dem Tod von Kanjuro XIX, wurde er offiziell zu seinem Nachfolger und zum kaiserlichen Bogenbaumeister ernannt. Er war viele Jahre Meister des Taiyusha-Dojos in Kyoto. 1969 wurde er zum lebenden Nationalschatz erkoren. 1980 folgte er einer Einladung des tibetanischen Meditationsmeisters Chögyam Trungpa Rinpoche, nach Boulder (Co.) in die USA. Seit 1985 lebte und unterrichtete er dort bis zu seinem Tod im Oktober 2013.